Die meisten Menschen meinen, dass Fotos so aussehen sollten wie in Wirklichkeit. Aber was ist die Wirklichkeit? Ist die Wirklichkeit der Sensor oder ist die Wirklichkeit das Auge? Und worin besteht der Unterschied? Der Sensor besteht zunächst nur aus Millionen lichtempfindlichen Zellen, die - wenn Licht darauf fällt - einen Strom fließen lassen, der - je nach ISO-Einstellung mehr oder weniger - verstärkt gemessen wird. Dabei werden bei Farbfotos die drei RGB Farben unterschiedlich gemessen. Dann setzt eine aufwändige interne Software daraus ein Bild zusammen. Zunächst ein RAW Foto und dann bei weiterer Bearbeitung ein jpg Foto.
Licht erzeugt im menschlichen Auge auch elektrische Impulse, welche dann in unserem Gehirn zu einem
Bild umgesetzt werden. Man könnte sagen, dass unser Gehirn aus dem Impuls (und veilen anderen Informationen, die sich z.B. aus der Sehgewohnheit des Einzelnen ergeben, auf der Netzhaut ein jpg-Bild
erzeugt.
Das Auge stellt beim Sehen sozusagen auf Auto ISO, wobei es ja kein sichtbares Rauschen gibt. Stattdessen
erweitert sich zunächst die Pupille (der Sensore wird größer - sozusagen eine Art HDR und
schließlich schaltet dann das Auge in der Dunkelheit von Farbe auf Schwarz Weiß. - das Auge hat auch für Helligkeit viel mehr Megapixel (ca. 125 MP) als für Farbe (ca. 7 Megapixel)
Das Auge hat eine Brennweite von etwa 17 mm. Bei einem Pupillendurchmesser von 6-8 mm entspricht dies für
Vollformat (24x36mm) einer Brennweite von etwa 50-60 mm. Das heißt schon einmal, dass das Fotografieren
mit Objektiven meist nicht der Wirklichkeit des Auges entspricht.
Somit können wir auch ein Foto mit einem Teleobjektiv durch Bearbeitung nicht der "Wirklichkeit" anpassen.
Außerdem kann das Auge auch nur bei Abständen über 30cm scharf sehen - also auch ein Makro Objekt zeiut nicht die Wirklichkeit.
Eine jpg Datei umfasst (bei 256 bit = 2 hoch 8 ) maximal 8 Blendenstufen, eine Raw Datei
je nach Kamera bis zu 13 Blendenstufen. Der Monitor kann meist weniger und auch ein Ausdruck auf Papier
liegt immer deutlich unter 8 Blendenstufen. Das menschliche Auge ist dem jedoch (bis jetzt) noch
überlegen. Es gibt zwar unterschiedliche Angaben aber irgendwo zwischen 15 und 20 liegt es wohl, wobei der Vergleich hinkt, da ein Auge (im Zusammenspiel mit dem Gehirn) anders sieht als ein Sensor.
Das bedeutet, sowohl der Monitor als auch der Ausdruck sieht in den hellsten und in den dunkelsten
Bereichen nicht alle Informationen eines RAW Fotos. Wir müssen diesen Bereich daher sichtbar machen - um
der Wirklichkeit also dem Auge näher zu kommen.
So entdeckt man mit der Aufhellung von Tiefen mehr Details in den dunklen Bereichen. Es zeigt sich aber
auch, dass ich mit dem RAW Foto mehr Details sehen kann als im jpg.
Genauso kann man die Lichter reduzieren, dadurch werden z.B. mehr Details in Wolken oder wie im Beispiel bei Gischt sichtbar, auch der Himmel wird dunkler - d.h. blauer.
Die Erhöhung der Tiefen und die Reduktion der Lichter bringen allerdings nur dann mehr Details, wenn sie nicht "ausgefranst" sind, d.h. so über oder unter belichtet, dass selbst im RAW nichts mehr zu erkennen ist. Das sieht man am Histogramm an Spitzen ganz links oder ganz rechts.
Das Auge hat einen Sehbereich von etwa 170 Grad - entsprechend einem extremen
Weitwinklel-Objektiv. Davon sieht das Auge aber nur 24-35 Grad scharf. Mit dem Blick ändert sich dieser
Bereich natürlich ständig. Das Auge hat also einen kontinuierlichen Autofocus mit Mittenbetonung.
Wenn man ein Foto macht, dann reißt man einen bestimmten Bereich - je nach Brennweite - aus dem
Zusammenhang - nämlich dem 170 Grad Sehbereich. Da man also nur einen Ausschnitt sieht, lässt dies Raum
für Interpretationen - auch für völlig falsche Eindrücke von einer Situation.
Daher heißt für mich fotografieren: Dinge aus ihrem Zusammenhang holen und so für völlig neue
Eindrücke zu sorgen.
Daher gibt es auch so viele gute Fotos von Alltäglichem - weil man es z.B.
durch ein Weitwinkel oder Makro betrachtet und scheinbar Nebensächliches zu Hauptsächlichem werden
lässt.
Das bedeutet aber auch, dass auch - in Bezug of Brennweite und Objektiv - ein Foto niemals der
"Wirklichkeit" entspricht. Genauso wie es "legitim" ist mit verschiedenen Brennweiten zu arbeiten.
Also ist es legitim und häufig auch erforderlich, Ausschnitte zu wählen.
Dabei kann ein Ausschnitt sowohl bewirken, dass ein langweiliger Vordergrund oder Hintergrund entfernt
wird, oder ein völlig anderer Bildeindruck entsteht.
Wenn man Landschaften oder Gebäude fotografiert, ist es häufig so, dass man im Vordergrund langweilige Flächen sieht, da man nur so die Landschaft oder die Gebäude vollständig auf das Foto bekommt. Man könnte zwar auch die Kamera nach oben ziehen, was aber zu Verzerrungen oder zu einem viel zu großen Himmelanteil führt. Also sollte man solche Fotos beschneiden, um den Blick auf das - aus Sicht des Fotografen - Wesentliche zu richten.
Man kann aber auch durch einen Ausschnitt eine völlig neue Bildaussage bekommen, da der Blick nicht mehr abgelenkt wird von Dingen, die der Fotograf als nicht wichtig einstuft. Ein Beispiel ist das Foto der Elbphilharmonie hinter dem Schornstein des Heizkraftwerks.
Neben den für mich zwei wichtigsten Bearbeitungsmöglichkeiten, die selbst die einfachsten Programme beherrschen, gibt es noch unzählig andere. Dabei muss man immer überlegen: Will ich ein "realistisches" Foto haben oder will ich ein Bild (kein Foto!) haben, welches möglichst dekorativ aussieht. Wenn ich z.B. einen Vortrag auf einem Naturfotofestival halte ist ein möglichst realistisches Bild fair gegenüber den Anwesenden, die diese Reise vielleicht auch einmal machen wollen - dazu gehört auch ein manchmal wolkiger Himmel. Wenn ich aber ein künstlerisches Bild aus meinem Foto machen will, kann ich auch schon einmal mit Photoshop o.ä. den Himmel austauschen. Ich kann dann auch die Farben verstärken oder verändern. Ich mache aus einem Foto ein Bild
Auch wenn man ein paar Dinge in einem Sensor und in der Software der Kamera mit dem Auge vergleichen kann: Der Vergelich hinkt immer, da das Gehirn seine Infornmationen nicht nur aus dem Bild der Netzhaut bezieht.
Ein Hinweis: Die Informationen über die physikalischen Eigenschaften des Auges habe ich
z.T. entnommen aus: Fotoworkshop
Stuttgart